| Autor: Dr. Anne-Sophie Kratz
Herausforderungen KI-gestützter Literaturrecherche in der PV
Die kontinuierliche Überwachung wissenschaftlicher Literatur ist ein wesentlicher Bestandteil der Pharmakovigilanz (PV). Sie dient dazu, wissenschaftliche Veröffentlichungen mit potenziellen Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und anderen sicherheitsrelevanten Aspekten von Arzneimitteln zu identifizieren und damit neue Informationen zur Bewertung des Nutzen-Risiko-Profils zu erhalten. Eine manuelle Literaturrecherche stößt jedoch aufgrund der stark zunehmenden Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen und der Komplexität der Daten an ihre Grenzen. Der Einsatz von Maschinellem Lernen (ML) und statistischen Prognosen – sprich Künstlicher Intelligenz (KI) – bietet im Zusammenspiel mit Prozessautomatisierung vielversprechende Lösungen zur Optimierung der Literaturrecherchen, die jedoch auch mit einer Reihe von Herausforderungen einhergehen.
Anwendungsmöglichkeiten automatisierter und KI-gestützter Literaturrecherchen
- Automatisierte Durchsuchung von Datenbanken: Automatisierte Systeme können wissenschaftliche Datenbanken wie PubMed kontinuierlich nach relevanten Artikeln durchsuchen. Sie können komplexe Suchstrategien anwenden, um sicherzustellen, dass keine entscheidenden Artikel übersehen werden.
- Text-Mining und Informationsextraktion: Durch natürliche Sprachverarbeitung (Natural Language Processing, NLP) könnten smarte Systeme automatisch relevante Informationen aus wissenschaftlichen Artikeln extrahieren und unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Wechselwirkungen und andere sicherheitsrelevante Daten, wie Dosierungsangaben, identifizieren.
- Automatische Klassifizierung und Priorisierung: ML-Algorithmen können verwendet werden, um Artikel zu klassifizieren und ihre Relevanz zu bewerten. Dies ermöglicht eine Priorisierung der Artikel, wodurch bei der Auswertung der Recherche die Aufmerksamkeit auf die entscheidenden Informationen gelenkt wird. Ebenso kann intelligente Mustererkennung dabei unterstützen, Fallberichte zu identifizieren und zu analysieren.
- Signalerkennung und Trendanalyse: Durch die Analyse von Daten können statistische Methoden dazu beitragen neue oder unerwartete Wechselwirkungen und Nebenwirkungen zu identifizieren und Trends in der Arzneimittelsicherheit zu verfolgen.
Vorteile automatisierter und KI-gestützter Literaturrecherchen
- Steigerung von Effizienz und Genauigkeit: Automatisierte Systeme können große Mengen an Literatur automatisch in kurzer Zeit durchsuchen und analysieren. Durch ML und NLP kann eine KI relevante Informationen mit hoher Präzision extrahieren.
- Konsistenz: Automatisierte Systeme arbeiten nach festen Algorithmen, was zu einer gleichbleibenden Qualität der Rechercheergebnisse führt.
- Umfassendere Analysen: Lernende Algorithmen ermöglichen die Analyse einer größeren Menge an Daten, einschließlich solcher, die in traditionellen Recherchen möglicherweise übersehen werden. Dies kann helfen, Signale für Arzneimittelrisiken schneller zu erkennen.
Herausforderungen automatisierter und KI-gestützter Literaturrecherchen
Regulatorische Anforderungen und Qualitätssicherung: In einem stark regulierten Bereich wie der Pharmakovigilanz müssen automatisierte sowie KI-Systeme sorgfältig entwickelt und überwacht werden. Alle regulatorischen Anforderungen, z.B. die Vorgaben der Good Pharmacovigilance Practices (GVP), des GAMP 5 oder des AI Act, müssen erfüllt werden und die Patientensicherheit stets gewährleistet sein. Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie regelmäßige Überprüfungen und Updates der Software, müssen implementiert werden, um sicherzustellen, dass immer präzise alle relevanten Ergebnisse geliefert werden.
Validierung von automatisierten und KI-Systemen: Die Validierung ist ein entscheidender Schritt, um zuverlässige Ergebnisse der Literaturrecherche zu gewährleisten. Validierungsprozesse umfassen u.a. die Überprüfung der Software auf Genauigkeit, Zuverlässigkeit und Konsistenz in ihren Ergebnissen. Dies ist besonders wichtig, da Entscheidungen, die auf Grundlage dieser Recherchen getroffen werden, auch Auswirkungen auf die Patientensicherheit haben können.
Datenqualität und -verfügbarkeit: Die Qualität der Rechercheergebnisse hängt stark von der Qualität der zugrunde liegenden Daten ab. Daher ist es essenziell, dass die lernende Systeme Zugang zu qualitativ hochwertigen und aktuellen Daten haben. Unvollständige oder fehlerhafte Daten können zu ungenauen Ergebnissen führen. KI-Systeme müssen kontinuierlich aktualisiert und trainiert werden, um mit den neuesten Entwicklungen Schritt zu halten und ihre Genauigkeit zu verbessern. Dabei spielt die Qualität der Trainingsdaten eine wichtige Rolle. Wenn diese nicht repräsentativ und umfangreich genug sind, können die Prognosen und Mustererkennungen der automatisierten Literaturrecherche ebenfalls verzerrt sein und so die menschlichen Experten nicht ausreichend unterstützt werden. In der PV kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben, da fehlerhafte Informationen die Sicherheit der Patienten gefährden können.
Interpretierbarkeit: Entscheidungen, die auf Basis von KI-gestützten Analysen getroffen werden, müssen nachvollziehbar und überprüfbar sein. KI-Modelle wirken jedoch oft wie „Black Boxes“, bei denen es schwierig ist, nachzuvollziehen, wie sie zu ihren Schlussfolgerungen kommen.
Sprachliche und semantische Vielfalt: Wissenschaftliche Texte mit PV-Daten sind oft in einer hochspezialisierten Sprache verfasst und in verschiedenen Sprachen verfügbar. Systeme müssen daher nicht nur in der Lage sein, Texte in mehreren Sprachen zu verarbeiten, sondern auch die spezifischen Fachterminologien und den Kontext korrekt zu interpretieren.
Integration in bestehende Systeme: Die Integration von KI-gestützten Recherchetools in bestehende Pharmakovigilanz-Systeme erfordert erhebliche technologische und organisatorische Anpassungen, die mit Aufwand und Kosten verbunden sind, u.a. Modernisierung bestehender IT-Infrastrukturen, Schulung von Personal und Anpassung der Arbeitsabläufe.
Fazit:
Automatisierte Systeme und KI können Literaturrecherchen in der Pharmakovigilanz in verschiedenen Aspekten unterstützen und erleichtern. Die Herausforderungen, die mit ihrer Implementierung und Nutzung verbunden sind, erfordern jedoch eine sorgfältige Planung, Entwicklung, Überwachung und Anpassung, die sowohl technologische Innovationen als auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Fachleuten der Arzneimittelsicherheit und Informatikern umfasst.
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