| Autor: Dr. Felix Häberlein, Philipp Wissel
Chancen und Herausforderungen intranasaler Applikationen mit systemischer Wirkung
Im pharmazeutischen Kontext ist die intranasale Route neben der überwiegend lokalen Wirkstoffapplikation, auch für die systemische Applikation über die Nase von großem Interesse. Die Corona Pandemie rückte die Nase und ihre Bedeutung als Eintrittspforte von Krankheitserregern erneut in den Fokus. Die Nasenschleimhaut ist nachweislich nicht nur die Haupteintrittspforte in den menschlichen Körper, sondern auch ein wichtiger Ort für die Replikation des SARS-CoV-2-Virus. In diesem Kontext wurde nicht nur über die Nasenschleimhaut als Eintrittsort für Viren, sondern auch als Applikationsroute systemischer Therapien und Vakzine diskutiert.
Vielversprechende Therapiemöglichkeiten
Die Vorteile nasaler Applikationen zur systemischen Wirkung sind seit langem bekannt: Es handelt sich um eine einfache, nicht-invasive Applikation mit schnellem Wirkeintritt bei gleichzeitiger Umgehung des gastrointestinalen und hepatischen First-Pass Effekts. Darüber hinaus ermöglicht die olfaktorische Nasenschleimhaut den einzigen direkten nicht-invasiven Zugang ins zentrale Nervensystem, den sogenannten „Nose-to-Brain Transport“. Dieser „Nose-to-Brain-Transport“ bietet unter anderem für Krankheiten wie Epilepsie, Alzheimer, Multiple Sklerose oder Glioblastom vielversprechende Therapiemöglichkeiten.
Um die Vorteile und Grenzen der nasalen Applikationsroute zu erläutern, ist es wichtig, den Aufbau und die Physiologie der Nase zu kennen:
Die Nasenhöhle besteht aus drei Zonen: der vorderen vestibulären Zone gefolgt von der flächenmäßig größten respiratorischen Zone und der olfaktorischen Zone. Die durchströmende Luft wird in der respiratorischen Zone erwärmt, befeuchtet und von groben Partikeln gereinigt. Diese ist gleichzeitig auch die relevante Zone für lokale und systemische Anwendungen. In der olfaktorischen Zone erfolgt die Aufnahme und Weiterleitung von Geruchsreizen. Die nasale Schleimhaut ist gekennzeichnet durch ein Flimmerepithel dessen Zilien rachenabwärts schlagen und das nasale Reinigungssystem darstellen. Diese sogenannte mukoziliäre Reinigung begrenzt gleichzeitig die Verweildauer und damit das zeitliche Resorptionsfenster für Wirkstoffe auf der Nasenschleimhaut. Die systemische Resorption von Arzneistoffen über die nasale Mukosa kann sowohl aus wässrigen als auch aus nicht-wässrigen Trägersystemen erfolgen. Durch den Aufbau der nasalen Mukosa bestimmen die biophysikalischen Eigenschaften des Wirkstoffes dessen Penetrationsrate. Kleine, lipophile Arzneistoffe penetrieren die Nasenschleimhaut besser als große, hydrophile Wirkstoffe. Hierin besteht eine der Limitationen der nasalen Applikation, bzw. in der Bandbreite der applizierbaren Wirkstoffe.
Innovative Entwicklungsansätze
Zwischenzeitlich gibt es einige innovative Entwicklungsansätze zur Applikation von Hormonen und Impfungen über den intranasalen Weg. Trotzdem wird das Potential der nasalen Applikationsroute heutzutage noch nicht ausgeschöpft. Bei den meisten der intranasalen Wirkstoffapplikationen liegt der Wirkstoff in gelöster (wässriger) Form vor. Neben klassischen Lösungen können aber durchaus auch wässrige und nicht-wässrige Suspensionen nasal als Spray oder Gel verabreicht werden. Dies ist besonders relevant, weil eine Vielzahl an Wirkstoffen schwerlöslich in Wasser (bzw. physiologischen Medien) sind. Da der Anteil schwerlöslicher Wirkstoffe zukünftig höchstwahrscheinlich weiter steigen wird, birgt dies großes Potenzial für die intranasale Wirkstoffapplikation in der Zukunft.
Bei der intranasalen Applikation kommen eine Vielzahl unterschiedlicher Applikator-Systeme zum Einsatz: Eindosen- sowie Mehrdosenbehältnisse; Sprüh-, Tropf- und Spritzenapplikatoren sind hier exemplarisch zu nennen. Im weiteren Verlauf dieses Beitrags werden intranasale Applikationen betrachtet, die über ein druckloses Mehrdosen-Sprühbehältnis appliziert werden können.
Das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur.), die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und die Food and Drug Administration (FDA) stellen strenge Qualitätsanforderungen an Arzneiformen zur intranasalen Applikation. Neben den bekannten Anforderungen, wie Gehalt und Reinheit des Wirkstoffs in der Arzneiform, müssen beispielsweise die Gleichmäßigkeit der applizierten Dosis (bzw. Masse) innerhalb eines Behälters (Intra-Container) und zwischen den Behältern (Inter-Container) gezeigt werden. Diese hängen unmittelbar mit der Formulierung und ihrem Sprühverhalten aus dem Applikationsdevice zusammen. Folgt man der EMA „Guideline on the Pharmaceutical Quality of Inhalation and Nasal Products“, so müssen die Geometrie des Sprühkegels und die Tröpchengrößenverteilung im Sprühkegel charakterisiert werden. Diese dürfen sich innerhalb der festgelegten Haltbarkeiten während der Anwendung nicht signifikant verändern. Die EMA stellt zudem Anforderungen an den Anteil der Tröpfchen im Sprühkegel, die kleiner als 10 µm sind. Bezogen auf die Gesamtzahl an Tröpfchen im Sprühkegel dürfen diese nicht mehr als 5 % ausmachen, da hier die Gefahr des Einatmens mit möglichen unerwünschten Wirkungen im tieferen Lungengewebe bestehen könnte.
Tröpfchengrößenverteilung und Shaking Requirements
Des Weiteren findet man in der Literatur Empfehlungen bezüglich der mittleren Tröpfchengröße solcher Tröpfchengrößenverteilungen, dem sogenannten D50-Wert. Der D50-Wert sollte demnach nicht größer als 120 µm sein. Begründet wird die Empfehlung meist damit, dass sich Tröpfchen mit einer Größe von mehr als 120 µm hauptsächlich im vorderen Nasenbereich abscheiden und somit aus der Nase laufen könnten. Da beim Auslösen von Nasenspray-Applikatoren allerdings ein hoher Druck erzeugt wird und das Nasenstück in das Nasenloch des Patienten eingeführt wird, ist davon auszugehen, dass auch Tröpfchen mit einer Größe von mehr als 120 µm in die für die systemische Resorption relevante respiratorische Zone befördert werden. Weder die EMA, noch das Europäische Arzneibuch nennen übrigens eine Obergrenze für den D50-Wert der Tröpchengrößenenverteilung.
Nasale Suspensionen müssen vor Gebrauch re-homogenisiert werden. Um zu zeigen, dass die Re-Homogenisierung vor Anwendung möglich ist, sind entsprechende Studien durchzuführen. Hieraus sollen die sogenannten „Shaking Requirements“ abgeleitet und in der Gebrauchsanweisung festgehalten werden. Im Rahmen dieser Studien muss auch gezeigt werden, dass übermäßiges Schütteln nicht zu Schaumbildung und folglich einer ungenauen Dosierung führt. Der Nachweis erfolgt über die Messung der Gleichmäßigkeit der abgegebenen Dosis nach Schütteln.
Suspendierte Partikel können den Sprühvorgang signifikant beeinflussen. Deshalb sind für nasale Suspension besondere galenische und analytische Herausforderungen zu meistern. Neben der physikalischen Stabilität der Suspension liegt hierbei ein besonderer Fokus auf der Sprühbarkeit der Suspension im Zusammenspiel mit dem gewählten Applikationsdevice. Oft ist ein Kompromiss zwischen physikalischer Stabilität und Sprühbarkeit der Suspension einzugehen.
Sedimentation und Resuspendierbarkeit
Die physikalische Stabilität von Suspensionen wird hauptsächlich durch deren Sedimentations- und Resuspendierungseigenschaften bestimmt. Die Sedimentation und Resuspendierbarkeit der suspendierten Wirkstoffpartikel kann durch Verringerung der Partikelgröße, Stabilisation mit Hilfe von oberflächenaktiven und sterisch wirkenden Additiven oder durch Viskositätserhöhung verlangsamt und kontrolliert werden. Gleichzeitig wird durch die Verkleinerung der Partikelgröße die Gefahr des Verstopfens des Nasensprayapplikators verringert. Die Zerkleinerung der Wirkstoffpartikel kann technologisch durch Mikronisierungs- oder Nanoisierungstechniken erreicht werden. Hier seien exemplarisch die Nassvermahlung und Hochdruckhomogenisation zu nennen.
Das Ziel der Zerkleinerung ist eine möglichst enge Partikelgrößenverteilung. Im besten Fall wird durch die oben genannten Formulierungsansätze die Sedimentation der Wirkstoffpartikel maximal verzögert. Im Falle der Sedimentation sollte ein lockeres Sediment gebildet werden, welches sich leicht aufschütteln lässt und zu einer homogenen Suspension mit gleichbleibender Partikelgrößenverteilung führt. Diese galenischen Stellschrauben zur Verbesserung der physikalischen Stabilität von Suspensionen haben einen direkten Einfluss auf die Sprühbarkeit. So hat der Zusatz von oberflächenaktiven Substanzen nachweislich einen direkten Einfluss auf die Tröpfchengrößenverteilung. Wird die Viskosität der Formulierung erhöht, um – wie oben beschrieben – die Sedimentationsgeschwindigkeit der dispergierten Partikel zu verringern, hat das einen Einfluss auf die Sprühparameter. Eine zu viskose Formulierung lässt sich nicht mehr reproduzierbar Versprühen und führt zu stark schwankenden Tröpfchengrößenverteilungen.
Mukoadhäsive Agentien
Des Weiteren besteht die Gefahr des Verstopfens des Steigrohrs und des Pumpenkopfs.
Eine anfänglich genannte Limitation der systemischen Resorption über die Nasenschleimhaut ist die aufgrund der mukoziliären Reinigung begrenzte Verweildauer der Arzneiformen in der Nase. Mit Hilfe innovativer Formulierungsansätze kann diese Limitation allerdings umgangen und das Resorptionsfenster vergrößert werden. Ein Ansatz ist der Einsatz mukoadhäsiver Agentien. Ein weiterer Ansatz setzt auf den Einsatz bestimmter Polymere, die bei Kontakt mit der Nasenschleimhaut Ihre Viskosität erhöhen und dabei mukoadhäsive Gele bilden. Die Ausbildung sogenannter in-situ Hydrogele beruht auf der Quervernetzung der Polymerketten. Diese Quervernetzung kann durch eine Veränderung äußerer Bedingungen (z.B. Temperatur, pH-Wert, Ionen-Konzentrationen) beim Kontakt der Formulierung mit der Nasenschleimhaut induziert werden. Hierdurch weisen diese Formulierungen eine deutlich verlängerte Verweildauer auf der nasalen Mukosa auf und lassen sich trotzdem mit herkömmlichen Sprühapplikatoren versprühen.
Konservierungsstoffe
Wässrige nasale Arzneiformen in Mehrdosenbehältern sollen entsprechend den Arzneibuchanforderungen konserviert werden. Konservierende Inhaltsstoffe (insbesondere Benzalkoniumchlorid) stehen bereits seit vielen Jahren in der Kritik. Benzalkoniumchlorid kann allergene und zytotoxische Nebenwirkungen hervorrufen. Technische Weiterentwicklungen von Applikatoren und Herstellungsverfahren erlauben es mittlerweile, dass wässrige nasale Arzneiformen in Mehrdosenbehältern nicht mehr zwingend konserviert werden müssen. Es gibt Sprühapplikatoren, die über ein integriertes Sterilfiltersystem verfügen, sodass Frischluft beim Ansaugen nach jedem Hub durch eben diesen Filter filtriert wird. Weiterhin wird der Eintrag mikrobiologischer Kontaminationen über das Steigrohr durch ein Ventil im Steigrohr (oder am Ausgang des Nasenstücks) verhindert. Keimarmes oder gar aseptisches Arbeiten bei Herstellung und Abfüllung kann genutzt werden, um die mikrobiologische Ausgangsbelastung der Formulierung gering zu halten. In Kombination der genannten neuartigen Applikatoren und Herstellungsverfahren kann die Konservierung auch im Mehrdosenbehältnis wässriger Formulierungen umgangen werden.
Die intranasale Applikation zur systemischen Wirkung hat großes Potenzial. Innovative galenische Ansätze ermöglichen nicht nur die intranasale Applikation schwerlöslicher Substanzen, sondern helfen auch, grundlegende Limitationen der nasalen Route (wie die Applikation großer Moleküle, kurze Resorptionsfenster) zu umgehen und weiten das Anwendungsfeld nasaler Therapien stetig.
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